Im Mittelalter prallten zwei legitime Herrschaftsformen aufeinander, die sich aber gegenseitig ausschlossen, obwohl sie das gleiche Ziel verfolgten, nämlich den Schutz der gottgewollten Weltordnung. Sowohl der Kaiser als auch der Papst rechtfertigten ihre Herrschaft, indem sie sich als Stellvertreter Christi auf Erden bezeichneten. Die beiden Herrschaftsformen beanspruchten dabei sowohl kirchliche wie auch weltliche Gewalt.
Königliche Kirchenhoheit
Weltliche und kirchliche Gewalten waren im 11. Jahrhundert eng miteinander verflochten. Eine kirchliche Aristokratie, die zugleich dem besonderen Schutz des Königs unterstellt ist, handelt oftmals im Bestreben auf Ausbau ihrer weltlichen Macht und ihres Einflusses.
Diese Tatsache wussten besonders seit der ottonischen Zeit auch die deutschen Könige (und römischen Kaiser) zur Sicherung und Festigung ihrer Machtbasis geschickt und erfolgreich zu nutzen. Die gezielte Besetzung der Bischofsstühle (Investitur) mit königstreuen Kandidaten festigte die Reichseinheit. Im Zuge dieser Entwicklung etablierte sich seit Heinrich II. allmählich die tatsächliche Verfügungsgewalt des Königs über die Reichskirche.
Die königliche Mitwirkung bei der Einsetzung der Bischöfe wurde spätestens unter Heinrich III. zu einem faktischen Besetzungsrecht.
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Die symbolische Übergabe von Ring und Stab band den Bischof in ein quasi abhängiges Verhältnis zum Herrscher (Sakralkönig) und bedeutete nicht allein die Übertragung des kirchlichen Guts, sondern beinhaltete ebenso die Übertragung der geistlichen Qualität des Amtes.
Heinrich III., Miniatur um 1040
Staats- und Universitätsbibliothek Bremen
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Besonders deutlich wird die Verfügungsgewalt des Königs über die Kirche unter Heinrich III., als in Vorbereitung seiner Kaiserkrönung 1046 die drei schismatischen Päpste abgesetzt wurden und der König selbst die neuen Päpste nominierte.
Reformbewegung im Kloster Cluny
Kritik an dieser königlichen Verfügungsgewalt über geistliche Dinge äußerte sich zunächst im Rahmen einer Reformbewegung ausgehend von dem Kloster Cluny, wo man die weltliche Herrscherwürde und das Priesteramt wieder schärfer voneinander zu trennen begann.
Die Abtei von Cluny
Foto von: www.burgundy-report.com
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Sie forderte u.a. das Verbot der Einsetzung von Geistlichen durch Laien (Laien sind Personen, die keine Geistlichen sind, dies trifft auch auf den Kaiser zu), das Verbot des käuflichen Erwerbs von geistlichen Ämtern (Simonie) und die Ehelosigkeit (Zölibat) der Priester.
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Paradoxerweise gewann diese Bewegung ausgerechnet unter Heinrich III. Einfluss in Rom. Der Mönch Hildebrand aus Cluny, welcher als Gregor VII. 1073 zum Papst gewählt wurde, war ihr schärfster Vertreter. Er trat für die Freiheit der Kirche von weltlicher Herrschaft und den Vorrang der geistlichen über die weltliche Gewalt ein (Dictatus papae, jener Ansammlung von 27 kurzen und prägnanten Sätzen, in denen Gregor in bisher nicht gekannter Weise einen päpstlichen Weltherrschaftsanspruch geltend macht). Daraus entstand ein Streit um die Einsetzung der Bischöfe (Investiturstreit), der zu einem Machtkampf zwischen Kaiser und Papst um die Führung des Abendlandes wurde.
Das Dictatus Papae
Vatikanisches Archiv, Rom
Materialien (1) Dictatus papae (Diktat des Papstes, März 1075)
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Der Konflikt zwischen König Heinrich IV. und Papst Gregor VII.
Unmittelbarer Auslöser des Investiturstreits war die Einsetzung eines königlichen Kaplans zum Erzbischof von Mailand durch König Heinrich IV. im Jahr 1075. Papst Gregor VII. reagierte umgehend und verlangte die Rücknahme der Investitur. Im Weigerungsfall drohte Papst Gregor VII. König Heinrich IV. mit der Exkommunikation und mit dem Verlust der Königswürde. Hiermit war die Reichskirchenordnung als Machtgrundlage des deutschen Königs bedroht.
Worms: Der König setzt den Papst ab
Daraufhin erklärten im Januar 1076 Heinrich IV. und die deutschen Bischöfe auf der Synode zu Worms Papst Gregor VII. für abgesetzt.
Worms - Panorama:
Dom, St. Andreas, Stadtmauer
Foto: Heinz Angermüller
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Bei seinem Gegenangriff auf den Papst konnte sich der König auf die Mehrheit der deutschen Bischöfe stützen, die oftmals in ehelicher Gemeinschaft lebten und nicht daran dachten, ihre komfortablen Lebensumstände zu Gunsten einer apostolischen Askese aufzugeben.
Materialien (2) Absetzung Gregors VII. durch Heinrich IV. (Brief Heinrichs, März 1076)
Fastensynode zu Rom Der Papst bannt den König
Papst Gregor VII. holte bereits im Februar 1076 zum Gegenschlag aus und sprach Heinrich IV. die Regierungsgewalt ab, indem er alle Untertanen von ihrem Lehenseid gegenüber dem König entbindet. Als schärfste Sanktion verhängte Gregor VII. den Kirchenbann über Heinrich IV., mit der Folge, dass jeder der Umgang mit dem König pflegt, selbst von der Exkommunikation (dem Ausschluss aus der Kirche) betroffen werden kann.
Heinrich IV. erreichte Mitte 1076 zwar die Exkommunizierung Gregors VII. durch ihm ergebene Kleriker, doch geriet er infolge des Kirchenbanns auch in Deutschland stark in Bedrängnis. Teile des Klerus und oppositionelle Reichsfürsten gingen allmählich auf Abstand zum gebannten König.
Für den König wuchs die Gefahr, dass seine weltlichen und klerikalen Gegner im Zusammenwirken ihm den Thron streitig machen und einen neuen König bestimmen könnten, falls Heinrich IV. nicht binnen Jahresfrist die Lösung des päpstlichen Bannes ereichen sollte.
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Der Gang nach Canossa
Der König bittet um Aufhebung des Kirchenbanns
Heinrich IV. bittet in Canossa den Abt Hugues von Semur und die Äbtissin Mathilde um Vermittlung.
Vita Mathildes des Donizo, Buchmalerei um 1100
Vatikanisches Archiv, Rom
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In dieser Situation unternahm König Heinrich IV. einen spektakulären Schritt. Durch eine außergewöhnliche Bußleistung wollte er vom Papst die Aufhebung des Bannes erreichen. Mitte Dezember 1076 zog Heinrich dem Papst entgegen, der sich zu dieser Zeit auf der Burg Canossa in Oberitalien aufhielt. Die ersten Verhandlungen nach seiner Ankunft im Januar 1077 blieben ergebnislos.
Schließlich zog König Heinrich IV. im Büßergewand und barfuss vor die Burg Canossa, wo er den ganzen Tag über im Schnee auf Einlass wartete.
Auch an den beiden darauf folgenden Tagen wiederholte er diesen Bußgang.
Am 28. Januar 1077 fand sich Papst Gregor VII. zur Lösung des Kirchenbannes über Heinrich IV. bereit.
Die Burg Canossa im 11. Jh.
Rekonstruktion nach Zeichnung (anonym)
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Das Scheitern des Gegenkönigs
Durch seinen "Gang nach Canossa" festigte Heinrich IV. seine Position gegenüber der Fürsten-Opposition in Deutschland und konnte ein direktes Zusammengehen des Papstes mit seinen Gegnern verhindern. Dennoch erklärten Heinrichs Gegner im März 1077 den König für abgesetzt und riefen Rudolf von Rheinfelden zum neuen König aus. Papst Gregor VII. verhielt sich in dieser Situation neutral, er unterstützte weder Heinrich IV. noch seinen Gegenkönig.
1080 forderte König Heinrich IV. unter (indirekter) Androhung der Erhebung eines Gegenpapstes Gregor VII. auf, Rudolf von Rheinfelden zu bannen.
Daraufhin verhängte Gregor VII. erneut den Kirchenbann über Heinrich IV. mit der Folge, dass der Papst von königstreuen Klerikern erneut für abgesetzt erklärt wurde. Im Herbst des Jahres 1080 konnte Heinrich den Machtkampf für sich entscheiden, nachdem sein Gegenkönig Rudolf in einer Schlacht seinen tödlichen Verletzungen erlag (Gottesurteil).
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Der Sieg Heinrich IV. über Gregor VII.
Derartig gestärkt zog Heinrich IV. 1081 mit seiner gesammelten Streitmacht nach Rom um seinen Disput mit Gregor VII. gewaltsam zu entscheiden. Die vom Papst zu Hilfe gerufenen Normannen plünderten Rom und zogen mit Gregor VII. nach Unteritalien ab.
Die Vertreibung Gregors VII.
Aus: Chronik des Bischofs Ottos von Freising, 12. Jh.
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Heinrich IV. eroberte die Stadt 1083 und ließ sich von dem (von ihm favorisierten) neuen Papst Clemens II. 1084 zum Kaiser krönen.
Gregor VII. starb im darauf folgenden Jahr in Salerno.
Der Investiturstreit gärte trotz des ultimativen Siegs Heinrich IV. weiter. Der Kaiser musste 1106 nach
erneuten Kämpfen mit den Reichsfürsten abdanken und seinem Sohn, Heinrich V. den Thron überlassen. Doch selbst damit war der Konflikt zwischen König und Papst noch nicht beendet. Im Jahr 1111 nahm Heinrich V. z.B. den Papst und 16 Kardinäle zeitweise gefangen.
Der gewählte Kleriker wird vom König mit der weltlichen Gewalt und vom Papst mit der geistlichen Würde bekleidet. Der König bleibt demnach weiterhin Lehnsherr des Geistlichen, hat aber kaum Einfluss auf dessen Wahl.
Diese Übereinkunft führte zur Schwächung der königlichen Macht über die Kirche (Ende des Reichskirchensystems). Die geistlichen Fürsten wurden in der Folge des Wormser Konkordats vom König unabhängiger und stärken die Opposition der weltlichen Fürsten.